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Resilienz, Ressourcen und Menschlichkeit – ein heilsames Trio







Ich hatte neulich eine Unterhaltung zum Thema Resilienz, mit einem Arzt und Kollegen, der in der Heidelberger Uniklinik arbeitet. Es ging dabei um die Frage der Resilienzfaktoren, sprich, was uns am besten hilft, widerstandsfähig gegen Stress zu werden.


Fakt ist, dass es dafür keine allgemeingültige Antwort gibt. Denn jeder Mensch ist individuell und hat demnach seine ganz eigenen Ressourcen – Menschen oder Dinge (z.B. Hobbies) in seinem Leben – die ihm Freude bereiten und ihm neue Kraft und Energie verleihen. Sich diese Dinge zunutze zu machen, um eine Ausgeglichenheit zwischen An- und Entspannung, Über- und Unterforderung im eigenen Leben zu bewahren – das ist Resilienz.

Am stärksten zu bewerten sind hierbei jedoch die inneren Ressourcen, wie Lebensfreude und Optimismus, Sinnhaftigkeit und Glaube, ein positives Selbstbild und Selbstwertschätzung, sowie Selbstwirksamkeit. Eine damit ausgestattete Person ist sozusagen ihre eigene Kraftquelle.


In jedem Fall gilt: Je mehr Ressourcen man hat und je vielfältiger diese sind, desto besser – denn umso mehr Möglichkeiten zur Energiegewinnung und zur Wiederherstellung der inneren Balance hat man.


Was mein Kollege mir im Verlauf unseres Gespräches erzählte, würde ich hier gerne als Paradebeispiel für Resilienz, Ressourcen und Menschlichkeit anführen.


Mein Kollege betreute vor einer Weile einen Patienten in der Klinik, der sehr schwer krank war. Er lag lange Zeit im Krankenhaus und hatte währenddessen nicht nur körperlich schwer abgebaut, sondern, in der Folge, auch psychisch. Zu seiner Erkrankung, die er weitestgehend ohne seine gewohnten sozialen Kontakte bekämpfen und verarbeiten musste, kam eine Depression hinzu. Dies ist völlig nachvollziehbar, wenn man in Betracht zieht, dass er krank war, Schmerzen litt, sich wahrscheinlich Sorgen um seine Zukunft bzw. sein Leben machte und dann nicht ausreichend Möglichkeit hatte, sich im persönlichen Gespräch mit seinen Bezugspersonen auszutauschen, sich aufheitern oder auf andere Gedanken bringen zu lassen. Er war mit seinen Problemen und Ängsten erst mal allein.


Doch dieser Patient hatte Glück, denn er hatte einen Arzt an seiner Seite, der sich nicht nur seine medizinischen Fähigkeiten zunutze machte, sondern auch seine menschlichen Kompetenzen in seine Arbeit – und damit die Heilung des Patienten – mit einfließen ließ. Das Wesen des Arztes – ein altruistischer Charakter – seine Erfahrungen im Leben und sein Einfallsreichtum bzw. Kreativität, gepaart mit dem Bestreben, nicht nur das körperliche Leiden des Patienten zu lindern, sondern ganzheitlich zu arbeiten und damit auch dessen psychisches Leiden zu behandeln, waren hier entscheidend. Genau das ist es, was in meinen Augen einen guten Arzt ausmacht: Die ganzheitliche Betrachtungsweise, Persönlichkeit und der sogenannte „Blick über den Tellerrand“.


Er nahm sich also Zeit für seinen Patienten, unterhielt sich mit ihm, lernte ihn dabei kennen, tauschte Informationen aus und entdeckte dabei eine Gemeinsamkeit: Die Liebe zur Musik.


Mein Kollege sitzt nicht nur selbst gerne am Klavier und macht Musik, sondern dirigiert auch ein Orchester – welches eine seiner größten Leidenschaften und Quell der Freude ist. Anders formuliert: Musik ist für ihn eine starke Ressource. Doch genau wie sein Patient – ein Berufspianist – konnte er selbst dieser Leidenschaft, wegen der aktuellen Umstände, nur noch bedingt nachkommen. Er konnte also mit seinem Patienten mitfühlen und ihn sehr gut verstehen. Und dieses Verstehen, die Empathie und die Fürsorge, die er als Arzt und Mensch zeigte, brachte ihm die entscheidende Idee und somit Wendung des Gesundheitszustandes seines Patienten, hin zu einer Verbesserung.


Denn wie es der Zufall so wollte, befand sich in einem Bereich des Krankenhauses ein Piano, welches für jedermann zugänglich war, nur bis dato weitestgehend ungenutzt in einem Flur stand – bis dato!


Der Arzt ging also eines Tages zu seinem Patienten und meinte er wolle ihm etwas zeigen. Auch wenn es für den Patienten körperlich anstrengend war sich auf den Weg zu machen, tat er dies, denn er hatte vertrauen zu seinem Arzt gefasst und wusste dieser wollte ihm helfen. Er sah einen Sinn. (Eine weitere Ressource!)

Die Überraschung des Patienten, als er das Piano vor sich stehen sah, mit der Aufforderung des Arztes, sich doch mal daran zu setzen und zu spielen, kann man sich vorstellen. Ich kann mir jedenfalls sehr gut vorstellen, wie der Patient – als er zu spielen begann und seine Finger sich wieder an die gewohnten Bewegungen erinnerten – aufgeblüht ist. Die Freude, die er spürte, als er etwas tat, was er liebt und vermisst hatte. Er fühlte die Tasten und die Musik und kam dabei wieder in seine Lebensenergie. Er nutze seine Ressource. Dieser Mann war in diesem Moment nicht mehr nur Patient, er war wieder ein Mensch mit einem Hobby, einem Leben jenseits der Krankheit und der Klinik. Wahrscheinlich war es für ihn eine Art Befreiung aus seiner momentanen körperlichen und gedanklichen Einengung. Er hat einen Perspektivenwechsel gebraucht und das hat sein Arzt, mein Kollege, erkannt und möglich gemacht. Die Erinnerung an diese Ressource, die Gelegenheit diese zu aktivieren und einen Menschen, der sich für ihn und sein Wohlbefinden interessiert und einsetzt – das war heilsam. Und das ist es, worum es bei Resilienz geht – sich zunutze machen, was da ist, trotz aller Umstände und Widrigkeiten.


Wieder zurück auf Station – noch sichtlich angestrengt vom gemeinsamen Ausflug – bemerkte der Patient: „Wissen Sie, ich hatte zwischendurch fast vergessen, dass es außerhalb der Dinge, die mich in den letzten Woche beschäftigt haben (Ängste, Schmerzen, Traurigkeit) noch eine andere Welt gibt – die der Musik. Das hat mir wieder Hoffnung gegeben.


Das war nur möglich, weil jemand aufmerksam und interessiert zugehört, seine eigenen inneren Ressourcen aktiviert und Nächstenliebe gezeigt hat. Das war aus therapeutischer Sicht eine absolute Glanzleistung. :)


Ich habe diesen Kollegen schon immer sehr geschätzt. Nicht nur, was seine medizinisch-fachliche Kompetenz anbelangt, sondern auch seine sehr hohe soziale Kompetenz. Seine natürlich freundliche, umgängliche, fürsorgliche und humorvolle Art, zeichnen ihn aus und waren in diesem besonderen Fall für seinen Patienten und dessen Heilungsprozess mit entscheidend.

Bei dieser Erzählung ist mir wirklich das Herz aufgegangen, vor Dankbarkeit diesen Menschen zu kennen und zu wissen, dass Menschen wie er meinen Job im Grunde überflüssig machen könnten. :)


Ich denke wir brauchen mehr von dieser Nächstenliebe in unserem Leben. Also warum machen wir nicht selbst den Anfang?


Das was hier passiert ist, was ein Mensch für einen anderen getan hat, kann überall passieren. Es muss nicht in einer Klinik für körperliche Krankheiten oder Praxis für psychische Krankheiten stattfinden. Es muss kein Arzt und auch nicht immer eine Therapeutin sein. Im Grunde bin ich als Therapeutin auch nur Starthilfe und Wegweiser zur Selbstwirksamkeit – Jemand, der es sich zur Aufgabe macht, die verloren geglaubten bzw. vergessenen Ressourcen anderer aufzufinden, wieder in deren Leben zu integrieren und zu aktivieren. Denn dann kann Heilung stattfinden.


Jeder kann für einen anderen dieser Wegweiser sein.


Nicht zu unterschätzen ist hierbei auch der Effekt auf einen selbst. Neben einer netten Geschichte und dem Gefühl „etwas Gutes getan zu haben“ regen solche Momente auch die Menschen an, die sie ermöglichen. Es stärkt nicht nur die Resilienz der Betroffenen, sondern auch das Verständnis, selbst als Person in der Beziehung zu anderen Menschen wirksam zu sein.


Für Personen in Heilberufen ist das eine wichtige Erkenntnis, denn in Zeiten von Medikamenten und Therapien, die teilweise bis auf die Genebene wirken vergessen wir leider allzu oft, dass kein Medikament der Welt so wirksam gegen Hilflosigkeit, Ängste, Trauer etc. ist, wie das Gefühl von jemandem behandelt zu werden, der einem mit Wertschätzung, Empathie und einem offenen Ohr entgegentritt.



Autorin und Co-Autor

Caroline Pitz und Philipp Reimold





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